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Ein Umzug 14 Mar 2019 12:36 PM (6 years ago)


Liebe Leserinnen und Leser,

seit März 2008 betreibe ich diesen Blog und bin gleichermaßen erschüttert, mit welcher Standhaftigkeit diese Seite immer noch existiert. Das Schreiben (über Filme) ist längst zu einem elementaren Bestandteil meines Lebens geworden, weswegen ich nie davon losgekommen bin. Einzelne Kategorien wie die wöchentlichen TV-Tipps mögen ihren Rückzug angetreten haben, aber dennoch versuchte ich stets, den Blog - soweit es mir möglich war - am Leben zu halten.

Allerdings habe ich Blogger seit nunmehr 11 Jahren über. Verschleißerscheinungen kündigten sich an. Die Maske, in ich der meine Texte formatierte, gefiel mir zwar in ihrer Einfachheit. Trotzdem lernte ich die (vor allem gestalterisch unkomplizierteren) Vorzüge von Wordpress kennen - und lieben. Spätestens mit dem Beginn eines Gemeinschaftsprojekts mit Freunden wollte ich von Wordpress nicht mehr los und wurde gar leicht melancholisch, wenn ich zurückkehren "musste" zu Blogger. 

Erste Gegenmaßnahmen, die ich daraufhin einleitete (neuer Blogname nebst Zitat, neuer Header, neues Profilfoto), bescherten dem Blog anfänglich ein frischeres Erscheinungsbild. Aber dennoch erschien mir der letzte ultimative Schritt, ein anderes Template aufzuspielen, zu mühselig, um jeden einzelnen Post einzeln durchzugehen - in der Hoffnung, dass die Bilder nicht an Kraft verlieren und die Absatzstruktur eingehalten wurde. Deshalb tut mir gerade eine radikalere Luftveränderung gut.

Der Gedanke, der daraus erwuchs, war, es anderswo zu versuchen. Ein Neuanfang. Wo ich meine Texte vielleicht noch eine Spur ansprechender und ästhetischer präsentieren kann, wo ich mehr Funktionen habe, nach meinen Wünschen eine, sagen wir, "modernere" Oberfläche anzubieten. Wo ich noch einmal von neu auf Texte einspeisen kann, ohne mir Sorgen über die "Leichen" zu machen, die immer noch irgendwo auf diesem Blog vegetieren.

Nichtsdestotrotz bleibt Zehntelsekunden (früher: Blockbuster-Entertainment) als mein erstes filmisches Erinnerungstagebuch bestehen. Viel zu viel Arbeit habe ich darin reingesteckt, als dass ich die Beiträge behalte, aber die Seite lösche. Sie wird, im Gegenteil, einen prominenten Platz in meinem neuen Zuhause zugewiesen bekommen. Damit ich mich an sie erinnere, und sei es auch bloß an die aufsprengende Leidenschaft während einer Schreibblockade.    

Mach's gut! Schlaf' schön. Träum' süß.

Wir sehen uns wieder. Durch einen Klick, durch einen Blick.

Und: Bitte gehen Sie weiter, einfach weiter!

Gehen Sie in Ihren Kopf, kommen Sie zu Kopfkino.

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Sehtagebuch | Februar 2019 13 Mar 2019 6:54 AM (6 years ago)


"Matrjoschka" //5
(USA 2019 | Season 1; Netflix)

"Game of Thrones" //7
(USA 2017 | Season 7; Verleih-Blu-ray)

TV-Folge: "True Detective" - 3x04 | "Der Tag und die Stunde"
(USA 2019 | Nic Pizzolatto; Sky)

TV-Folge: "True Detective" - 3x05 | "Wenn du Geister hast"
(USA 2019 | Nic Pizzolatto; Sky)

TV-Folge: "True Detective" - 3x06 | "Jäger in der Dunkelheit"
(USA 2019 | Daniel Sackheim; Sky)

TV-Folge: "True Detective" - 3x07 | "Das letzte Land"
(USA 2019 | Daniel Sackheim; Sky)

TV-Folge: "Star Trek: Discovery" - 2x03 | "Lichtpunkt"
(USA 2019 | Olatunde Osunsanmi; Netflix)

TV-Folge: "Star Trek: Discovery" - 2x04 | "Der Charonspfennig"
(USA 2019 | Lee Rose; Netflix)

TV-Folge: "Star Trek: Discovery" - 2x05 | "Die Heiligen der Unvollkommenheit"
(USA 2019 | David M. Barrett; Netflix)

TV-Folge: "Star Trek: Discovery" - 2x06 | "Donnergrollen"
(USA 2019 | Douglas Aarniokoski; Netflix)

Kurzfilm: "Mord" //6
(PL 1957 | Roman Polanski; Blu-ray)

Kurzfilm: "Abbruch des Tanzes" //6
(PL 1957 | Roman Polanski; Blu-ray)

Kurzfilm: "Zahnpastalächeln" //6
(PL 1957 | Roman Polanski; Blu-ray)

Kurzfilm: "Zwei Männer und ein Schrank" //6.5
(PL 1958 | Roman Polanski; Blu-ray)

Kurzfilm: "Die Lampe" //6
(PL 1959 | Roman Polanski; Blu-ray)

Kurzfilm: "Wenn Engel fallen" //7.5
(PL 1959 | Roman Polanski; Blu-ray)

Kurzfilm: "Säugetiere" //5
(PL 1962 | Roman Polanski; Blu-ray)

"Das Messer im Wasser" //7
(PL 1962 | Roman Polanski; Blu-ray)

Kurzfilm: "The Cameraman's Revenge" //4
(RUS 1912 | Władysław Starewicz; YouTube)

Kurzfilm: "The Crimson Permanent Assurance" //6
(GB 1983 | Terry Gilliam; Dailymotion)

Kurzfilm: "Lick the Star" //5
(USA 1998 | Sofia Coppola; YouTube)

Kurzfilm: "Simpan" //4
(KOR 1999 | Chan-wook Park; YouTube)

Kurzfilm: "Wasp" //6.5
(GB 2003 | Andrea Arnold; YouTube)

Kurzfilm: "Six Shooter" //6
(GB, IRL 2004 | Martin McDonagh; YouTube)

Kurzfilm: "Cigarettes and Coffee" //6
(RUM 2004 | Cristi Puiu; YouTube)

Kurzfilm: "Monster" //6
(AUS 2005 | Jennifer Kent; Vimeo)

Kurzfilm: "Plastic Bag" //7
(USA 2009 | Ramin Bahrani; YouTube)

Kurzfilm: "The House That Drips Blood on Alex" //5
(USA 2012 | Brock LaBorde, Jared Richard; Vimeo)

Kurzfilm: "The Nest" //4
(CDN 2013 | David Cronenberg; Dailymotion)

Dokumentation: "Jodorowskys Dune" //7
(F, USA 2013 | Frank Pavich; Arte-Mediathek)

Dokumentation: "Christo - Walking on Water" //7
(I, USA 2018 | Andrey M. Paounov; Kino)

Dokumentation: "Tokyo-Ga" //6
(USA 1985 | Wim Wenders; MUBI)

"Unsane" //6
(USA 2018 | Steven Soderbergh; Prime Video)

"High Flying Bird" //6
(USA 2019 | Steven Soderbergh; Netflix)

"Lisbon Story" //5
(D, POR 1994 | Wim Wenders; MUBI)

"Satan in High Heels" //5
(USA 1962 | Jerald Intrator; MUBI)

"Wrong Cops" //6
(F, RUS, USA, B, ANG, POR 2013 | Quentin Dupieux; Vimeo)

"Sully" //6
(USA 2016 | Clint Eastwood; Netflix)

"So Help Me God" //5
(F, B 2017 | Yves Hinant, Jean Libon; MUBI)

"Lucky" //6.5
(USA 2017 | John Carroll Lynch; TV)

"Nach dem Urteil" //5
(F 2017 | Xavier Legrand; Prime Video)

"Hotel Artemis" //5
(USA, GB 2018 | Drew Pearce; Prime Video)

"Mid90s" //7
(USA 2018 | Jonah Hill; Kino)

"Destroyer" //5.5
(USA 2018 | Karyn Kusama; Kino)

"Border" //4
(S, DK 2018 | Ali Abbasi; Kino)

"Polar" //4
(USA, D 2019 | Jonas Åkerlund; Netflix)

"Die Kunst des toten Mannes" //3
(USA 2019 | Dan Gilroy; Netflix)

"Captive State" //3
(USA 2019 | Rupert Wyatt; Kino)

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"Die Berufung - Ihr Kampf für Gerechtigkeit" / "On the Basis of Sex" [USA 2018] 11 Mar 2019 4:10 AM (6 years ago)


Wer sich dem den Oberflächenrand überwindenden Diskurs um geschlechtliche Gleichberechtigung, juristische Gleichbehandlung und Gender nähern möchte, wird in Felicity Jones ein Gesicht finden. Zunächst leicht überfordert, später sichtlich entflammter spielt Jones die Frauenrechtlerin Ruther Bader Ginsburg. Mimi Leder sieht ihr genauestens zu, wie sie – ringend um akademische Anerkennung – von Männern Schulter an Schulter zerrieben wird. Ein archaisches Symbolbild, das seine Gegenentsprechung finden wird. "Die Berufung" verklebt ein amerikanisch-aktivistisches Hochgefühl zwischen Frau und Freiheit, dem Pathos revolutionären Umtriebs ergibt sich dieser Film wie selbstverständlich. Das konservative Biopic schlechthin vermag Leder aber nicht aufzubrechen – einige Entwicklungen geraten in ihren weihevollen Wendungen ("Gender!") hinreichend künstlich wie schlicht überzuckert. Einen großen Makel trägt "Die Berufung" allerdings nicht davon: Für zwei Stunden erneuert sich das Kino als zupackender Protest, als Systemanalyse, die mit den weniger Privilegierten mitleidet, Hals über Kopf für sie argumentiert sowie sich durchzusetzen imstande ist. Und, klammheimlich, verändern sich die Rollen, die Rolle der Frau, die Rolle des Mannes – Arnie Hammer steht am Herd, ist beiläufig ein Hausmann, der seiner Frau das Haupteinkommen anvertraut. Mimi Leder denkt weibliche wie männliche Stereotypisierungen zusammen. Es führt kein Weg daran vorbei, sich in der (geschlechtsunabhängigen) Anerkennung des anderen als Subjekt seiner Selbstwerdung begreifen zu lernen.

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"Captain Marvel" [USA 2019] 10 Mar 2019 5:10 AM (6 years ago)


Sie stürzt ab, landet unsanft in einer Videothek, verwüstet Video Buster. Doch Captain Marvel (ungezwungen und freiheraus: Brie Larson) rappelt sich wieder auf – und betrachtet ungläubig eine analoge Vergangenheit. Videokassetten und Actionfilme, Arnie neben Sean Connery. Ist diese Szene gewollt sinnbildlich oder ein unbedarfter Gag? Sie berührt immerhin das Gegenwartsklima: Die Zeiten des Helden aus Fleisch, Blut und Greifbarkeit sind vorbei, zerschossen. Die Ikone hat sich überlebt. Die Zeiten des Memes brachen an. Ihre Zeiten (schneller Downloads). Aber ein bisschen Hals-über-Kopf-Abenteuer ist geblieben. Die inszenatorische Ausgewogenheit von Anna Boden und Ryan Fleck verwandelt "Captain Marvel" zu einem lockeren Dinner, am Tisch: Samuel L. Jackson (in jung), Ben Mendelsohn (süffisant) und eine Katze (süß). Eine Katze! Das flotte, aber keineswegs zu gehetzte Tempo löst in "Captain Marvel" langgehegte Wünsche ein – die gewöhnlichen Kinderkrankheiten des Franchise (Wertetheatralik, hypochondrische Schnitte, blasse Bösewichte) kompensieren Boden und Fleck (größtenteils) mit einem rustikalen Retrocharme, der nicht abgeklärt wirkt, sondern sich zwischen den anstrengend dramatisierten Eventhappenings der Avengers postiert. Ein Appetitanreger. Als solcher dreht "Captain Marvel" das Marvel-Karussell weiter – ausgerechnet im Rahmen eines weiblichen Blockbuster-Experimentierfeldes, das seine emanzipatorische Prämisse allerdings nicht zum antiemanzipatorischen Abschuss freigibt. Den Männern geht es ohne ihr Einschreiten tatsächlich (ironisch) an den Kragen.

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"Mid90s" [USA 2018] 6 Mar 2019 1:21 AM (6 years ago)


Kein Vergangenheitskitsch, keine Nostalgie, keine Rührseligkeit. Die 90er vibrieren, schreiben sich in das Holzstück ein, das zur Schau gestellt wird. Aber sie erzittern, wuchern, wummern nicht. Turtles-Bettwäsche, Wu-Tang-Clan-Poster, Discman, Skateboards. Viele Schuhe, No-Name-Shirts. Wasserbehälter. Nichts in "Mid90s" will sich aufdrängen, vieles bereichert schlicht den sozialen Identitätsraum hinter den Figuren, in dem sie sich bewegen und interagieren. Die Verklärung gegenüber den bestenfalls kultigen, schlimmstenfalls egozentrischen Zeiten der Adoleszenz, wie sie sich gegen die Ordnung und Ordnungen auflehnt, findet der Zuschauer in anderen Filmen vor. "Mid90s" handelt nicht über Kultur, Kunst, über eine Epoche im Allgemeinen, über ihre Auswirkungen im Gefüge, sondern über eine Generation, die nie aufhörte, überhaupt eine zu sein. Fans von "Kids" (1995), "Boyhood" (2014), "American Honey" (2016) und "The Florida Project" (2017) werden die Signale zu deuten wissen, die, ausgehend von diesen Filmen, zugleich auf das Regiedebüt Jonah Hills überschwappen: Signale durchfließender Findung.

Dieser einladenden, leichtfüßigen Unbeständigkeit wird nicht der geringste Einhalt geboten. "Mid90s" kommt ohne ein Ziel aus. Hill erzählt elliptisch ein Teilstück verweilenden Lebens, indem er das Ende als Anfang begreift. Fest zusammengehalten wird der Film von fünf Kindern, die sich als "Homies" verstehen lernen. Die überschaubare Lauflänge gebietet es, dass alle fünf höchstens mit ein, zwei Sätzen direkt verstehbar werden, wohingegen sie meistens indirekt über ihre Leidenschaften und Obsessionen sich mitteilen – über ihr Tun, über ihre Großspurigkeit, über ihre Nähe zueinander. Ray (Na-kel Smith), angehender Profi-Skater und emphatischer Letztbegründer, stellt sie uns vor: Fuckshit (Olan Prenatt), blonde Mähne, schlecht im Bett, unnachahmlich im Dauerpartymodus, hinzu kommen Fourth Grade (Ryder McLaughlin), bauernschlau und arm, aber mit bewundernswürdigem Auge, sowie Ruben (Gio Galicia), der, statt die Wohnungstür zu öffnen, an ihr lieber abbiegt. Die Konflikte – Eifersüchteleien und Enttäuschungen sowie häusliches Missbehagen – banalisiert Hill zugunsten von Stimmungsbildern.


Dialoge um Hautfarben leiten daher keine Agenda ein, sie sind Material für Albernheiten. Selbst als der "Neue" (Sunny Suljic) eine Möglichkeit findet, die Gruppe zu erweitern, wurzelt der Zusammenhalt dieser Gemeinschaft auf entpolitisierten Werten, die nicht einmal aufgeschrieben, kodifiziert, diskutiert zu werden brauchen: Ein "Danke" ist angemessen, nicht schwul. Jonah Hill filmt den Zirkus dieser Jungs, ohne normative Setzungen vorzunehmen, ohne ihr Verhalten weder zu entschuldigen noch zu verurteilen. Damit ist er Fourth Grade nahe (McLaughlin). Später als Regisseur tätig zu sein, ist der Traum dieses schüchternen, pickeligen Künstlers, der nicht nur in seinem eingekapselten Habitus interessant(er) wirkt, als auch in dem Paradoxon, eines Tages zu dirigieren, obgleich dafür vor allem überzeugende Worte notwendig sein werden. An Stelle der Selbstvermarktung, etwas darzustellen, nimmt Fourth Grade im Hintergrund die Unwichtigkeiten im Vordergrund auf, schwenkt die Kamera neugierig und hält sie wissbegierig – egal, was vor seine Linse gerät. "Mid90s" dokumentiert mithin die Gehversuche von Bildern bewusster Herstellung von Verantwortung.

Körnige Texturen, ausgewaschene Farben und Bilder im 4:3-Format sind geeigneterweise die formalästhetischen Insignien Jonah Hills, dem, wenn man will, erwachsen gewordenen Fourth Grade, der mit "Mid90s" trotzdem keinen verwackelten Amateurfilm abliefert – zu professionell kontrolliert er sein Handwerk. Eine Sensation für sich ist ohnehin der Clou, Sunny Suljic entdeckt zu haben. Von seinem großen Bruder Ian (Lucas Hedges) tyrannisiert, der literweise O-Saft in sich reinwürgt, muss "Sunburn" Stevie (Suljic) ungemein ausdauernd einstecken, ehe er unersetzlicher für jenen Kreis wird, dem er durch einen passiven Initiationsritus angehört. Auch wenn das Drehbuch, zum Schluss hin, einige Verrenkungen in Kauf nimmt, "Entwicklungen" auszukosten, die das Drama gezielt befeuern, öffnet sich der Bedeutungsschatz rund um die Skaterszene (einer popkulturell erst im Anmarsch sich befindlichen Gegenwartsgesellschaft) schlussendlich einer klirrenden, aufrüttelnd emotionalen Schönheit, für die jedes Wort viel zu viel wäre und die am liebsten im Schlaf, im Traum, im Warten, im Wartezimmer vollständig wird. Die Zeit ist unumkehrbar, aber nie tot.

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Sehtagebuch | Januar 2019 24 Feb 2019 2:10 PM (6 years ago)


"Sharp Objects" //8
(USA 2018 | Jean-Marc Vallée; Prime Video)

"The Romanoffs" //5
(USA 2018 | Matthew Weiner; Prime Video)

"Murder Mountain" //5
(USA 2019 | Joshua Zeman; Netflix)

"Ted Bundy: Selbstporträt eines Serienmörders" //6
(USA 2019 | Joe Berlinger; Netflix)

TV-Folge: "True Detective" - 3x01 | "Der große Krieg und die moderne Erinnerung"
(USA 2019 | Jeremy Saulnier; Sky)

TV-Folge: "True Detective" - 3x02 | "Den Morgen wirst du nicht erleben"
(USA 2019 | Jeremy Saulnier; Sky)

TV-Folge: "True Detective" - 3x03 | "Das große Nie"
(USA 2019 | Daniel Sackheim; Sky)

TV-Folge: "Star Trek: Discovery" - 2x01 | "Bruder"
(USA 2019 | Alex Kurtzman; Netflix)

TV-Folge: "Star Trek: Discovery" - 2x02 | "New Eden"
(USA 2019 | Jonathan Frakes; Netflix)

Kurzfilm: "Brutalität in Stein" //6
(BRD 1961 | Alexander Kluge, Peter Schamoni; YouTube)

Kurzfilm: "C'était un rendez-vous" //6
(F 1976 | Claude Lelouch; YouTube)

Kurzfilm: "True" //7
(F, D, LIE 2004 | Tom Tykwer; YouTube)

Dokumentation: "Kubrick, Nixon und der Mann im Mond" //5
(F 2002 | William Karel; Arte-Mediathek)

"Vorname Carmen" //6
(F 1983 | Jean-Luc Godard; Prime Video)

"Detektive" //5
(F, CH 1985 | Jean-Luc Godard; Prime Video)

"Adieu au langage" //6
(CH, F 2014 | Jean-Luc Godard; Prime Video)

"Unbreakable" //6
(USA 2000 | M. Night Shyamalan; Prime Video)

"Split" //4
(USA 2016 | M. Night Shyamalan; Prime Video)

"Glass" //4
(USA 2019 | M. Night Shyamalan; Kino)

"Sie küssten und sie schlugen ihn" //7
(F 1959 | François Truffaut; Prime Video)

"Jules und Jim" //7
(F 1962 | François Truffaut)

"Wir sind keine Engel" //7
(USA 1955 | Michael Curtiz; Dailymotion)

"Chained Girls" //6
(USA 1965 | Joseph P. Mawra; MUBI)

"Klauen wir gleich die ganze Bank" //5
(USA 1983 | Gower Champion; Prime Video)

"Komm und sieh" //7
(UdSSR 1985 | Elem Germanowitsch Klimow; DVD)

"Manchmal kommen sie wieder" //4
(USA 1991 | Tom McLoughlin; Prime Video)

"Shoplifters" //6.5
(J 2018 | Hirokazu Koreeda; Kino)

"In den Gängen" //6
(D 2018 | Thomas Stuber; Prime Video)

"The Night Comes for Us" //6
(IND, USA 2018 | Timo Tjahjanto; Netflix)

"Die Berufung" //6.5
(USA 2018 | Mimi Leder; Kino)

"Keep an Eye Out" //6
(F 2018 | Quentin Dupieux; MUBI)

"Pity" //4
(GR, PL 2018 | Babis Makridis; MUBI)

"High Life" //6
(D, F, GB 2018 | Claire Denis; Presse-Screener)

"Vice" //4
(USA 2018 | Adam McKay; Kino)

"The Favourite" //6
(GB, IRL, USA 2018 | Giorgos Lanthimo; Kino)

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"Vice - Der zweite Mann" / "Vice" [USA 2018] 21 Feb 2019 7:00 AM (6 years ago)


Adam McKay dürfte die Glaubwürdigkeit einer ehrlichen Socke haben. Rundheraus gibt er zu, dass sein Biopic "Vice" anerkannten Begebenheiten aus der biografischen Mediensammlung Dick Cheneys entspreche, um gleichzeitig die (verräterisch sarkastische) Fußnote anzufügen, dass nach bestem Wissen und Gewissen die Begebenheit auf der Freischöpfung kohärenter Dichtung gründe. Wie auch sonst? Denn McKay wählte einen verschwiegenen Politiker, der seine Rolle im Hintergrund hinreichend effektiv zu bespielen wusste, damit er sich nicht in die erste Reihe setzen musste. Aber Christian Bale zwingt keinen verschwiegenen Politiker zu seiner Auferstehung, so wie Christian Bale überhaupt keinen (körperlich) verschwiegenen Menschen jemals zu seiner Auferstehung zwang. Tatsächlich ist "Dick" Opfer seiner eigenen (ungewollten) Attitüde: ein Mann, über den der Schulhof lachte – und nicht nur wegen seines albernen Namens. 

Machte McKay einst die Finanzbranche transparent ("The Big Short", 2015), indem er sich auf ihr Karussellvokabular einließ, karikiert McKay in "Vice" die Körperlichkeit Cheneys. Eine Riesenplauze hat er sich durch süßes Gebäck angefressen, er telefoniert, während er (s)ein Messer kampfbereit hält, und soff sich in jungen Jahren die Kotze aus dem Magen. Von halbgöttlicher Dummheit gesegnet scheint jener Dick Cheney. Und Christian Bale leiht ihm ein aufgeweichtes Marshmallow-Antlitz aus Diskretion und Morbidität. Wie hat es dieser Mann bloß zum Vizepräsidenten geschafft? "Vice" erhellt die Verständnislücken kaum. Das kann als Stärke gesehen werden – immer, wenn uns Dick Cheney, zum Beispiel beim familiären Angeln, die Hand reicht, entzieht er sie uns sogleich. Aber vor allem geriert sich Adam McKay als vermeintlich aufgeklärter Liberaler, der sich dem Angler Dick Cheney nicht nähern will, sondern einem Dämon, der mit dem Teufel im Bunde ist.

Wenn eine Satire lediglich Verkaufsargumente und Vorverurteilungen bestätigt, dann hat McKay nicht verstanden, dass "Vice" höchstens ansatzweise eine (kluge) Satire ist. Im Biergarten wäre dieser Film besser aufgehoben – die permanenten anekdotischen Erzählspurwechsel, ein vorzeitiges Happy End sowie die performative Rückversicherung, als Regisseur selbst dem Vorwurf einseitiger Berichterstattung den Wind aus den Segeln zu nehmen, lancieren ein sich als politisch affin erklärendes Publikum, das der großen Schlagzeile unhinterfragt vertraut. Und die große Schlagzeile poppt in "Vice" omnipräsent auf: Cheney, der Verantwortliche. Das McKay-Archiv unter Verschluss gehaltener Operationen ist schier unüberschaubar. Auf Dick Cheney geht Irak, Afghanistan, Folter, Guantanamo und Abu Ghraib zurück, Dick Cheney war es, der auf Beutezug ging, Cheney war es, der die Administration der Macht in autonomer Eigenregie missbrauchte.


Dass jede Macht einen Charakter und einen Raum braucht, in dessen strukturellem Nährboden sie heranwächst, übergeht Adam McKay geflissentlich. Vielmehr simplifiziert er einen Entscheidungsträger auf jene Entscheidungen, die im letzten Akt des Handlungsvollzugs längst feststehen. Entlarvend will "Vice" sein, spult jedoch durchweg moralinsaure Ressentiments ab. Dazu passt, dass Cheneys Umfeld mit karikaturesker Stimme platte Wahlkampfsounds echot: Donald Rumsfeld (Steve Carell) will es, das frenetische "Ja!", das seine Laufbahn legitimiert, wohingegen Cheneys Ehefrau Lynne (Amy Adams) ihren eigenen apodiktischen Krieg führt, für den zunehmend kein Platz mehr bereitgestellt wird. Der Blickwinkel ist eng, auf den sich McKay konzentriert – allein, ihm sind die Menschen fremd. Der Vorschlaghammer, dessen sich der Regisseur bedient, zerbröselt die Charakteristik einer reflektierten Satire, dort anzusetzen, wo wenig Gegenliebe herrscht.

Ansätze dafür existieren durchaus. Die originellste Idee des Films ist es, dass die Speisekarte beim Dinner republikanisch konsequent eine Umformulierung erfährt. Für einen kurzen Augenblick überholt McKays Zynismus die Wirklichkeit – und deutet eine Wirklichkeit an, in der die Welt insoweit ideologisch verwaltet ist, dass sie in die kleinsten Ritzen alltäglicher Gebräuche eindringt. Mag auch Colin Powell (Tyler Perry) in seiner Rolle zu eindimensional geschrieben sein, liefert er sich mit Rumsfeld (Carell) einen weiteren hochinteressanten Schlagabtausch: Gegen die Einwände Powells, in den Irak einzumarschieren, hat Rumsfeld müde, gellende Kinderlaute übrig. Auf den Punkt hin inszeniert, ist die Vernunft gegen postfaktische Abschottungsdeklamationen wirkungslos. Zu Dick Cheney fällt Adam McKay dagegen gar nichts ein. Er verharrt regungslos, als ihm seine Tochter (Alison Pill) gesteht, sie sei lesbisch. Er ist kein Shakespeare. Aber sein Lehrer ein Michael Moore.

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Die imposanten 7: Bücher und Geschichten 2018 16 Feb 2019 5:27 AM (6 years ago)


Platz 7

ALTE MEISTER
(1985, Thomas Bernhard)

Platz 6

DER ZAUBERBERG
(1924, Thomas Mann)

Platz 5

KINDERGESCHICHTE
(1981, Peter Handke)

Platz 4

WARTEN AUF GODOT
("En attendant Godot"/1952, Samuel Beckett)

Platz 3

SCHÖNE NEUE WELT
("Brave New World"/1932, Aldous Huxley)

Platz 2

DIE VERSIEGELTE ZEIT
("Sapetschatljonnoje Wremja"/1984, Andrej Tarkowskij)

Platz 1

DOSSIER K.
("K. dosszié"/2006, Imre Kertész)

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Ein Abend mit Steven Soderbergh 14 Feb 2019 8:30 AM (6 years ago)


UNSANE - AUSGELIEFERT
(USA 2018)

Sawyer Valentini (Claire Foy) hat alles unter Kontrolle und geht in ihrer Arbeit auf. So sehr, dass sie ihr Mittagessen – einen Salat – in den Mülleimer schleudert, ehe sie es verzehrt hat. Doch jemand beobachtet sie, spürt ihr unentwegt nach, zwischen den Blättern. Auf Gedeih und Verderb misstraut ihr der Kamerasucher des iPhones, konzentriert gehalten von Peter Andrews (aka Steven Soderbergh). Es sollte eine bloße therapeutische Anfrage sein – aber Claire wird für eine Woche in eine Klinik für Verhaltenstherapie eingewiesen. Die Artifizialität digital überreinigter Bilder, die Soderbergh über den Einsatz des iPhones herstellt, ist daraufhin paradigmatisch für ein irrrealistisches Sozialexperiment, in dem die Wände noch ein bisschen kahler, noch ein bisschen abweisender sterben. Getreu dem, was "Unsane" in der Vita des Filmemachers darstellt, inszeniert Soderbergh geduldig eine Fingerübung zwischen dem spätmodernen, pharmaindustriell verwalteten Selbst ("Side Effects", 2013) und rotzigem Genrekino ("Haywire", 2011). Der Stalker (Joshua Leonard) währenddessen, um den Soderbergh einen Besessenheitsfetisch bastelt, der sich unaufhörlich verdichtet, ist ein für das sonst fassadengeschniegelte Kino Steven Soderberghs geradewegs untypisch präsenter, betastbarer Charakter, der das Gefühlsinventar des Zuschauers wechselseitig herausfordert. Und mit ihm das System, das er zu nutzen weiß. Der Film lässt nirgends Zweifel an seiner kritischen, antiprofitbringenden Überzeugungsarbeit. "Fortsetzung folgt."


HIGH FLYING BIRD
(USA 2019)

Wieder das System, die Zusammenhänge, die niemand durchschaut. Business Englisch, NBA-Fachsprache: "Lockout", "Rookies". Nur mit Hilfe eines erfahrenen Spielerberaters (André Holland) findet sich der "Neue" (Melvin Gregg) unter Hyänen zurecht. Steven Soderberghs Sportlerfilm "High Flying Bird", abermals mit einem iPhone gedreht, untermauert, dass dieser Hollywood-Kauz im Leben kein Meisterwerk mehr schaffen wird – denn selbst seine größten Filme sind von einer fremdartig nebulösen Kleinteiligkeit. So auch dieser, in dem die geräumigsten Büros das ausschweifendste Panorama gewähren, nah an den Wolken, an der Macht Gottes. Dieser blickt herunter. Menschen versklaven Menschen nach wie vor, weiße Menschen schwarze Menschen, der Hass erblüht auf Twitter, das Showmatch erzielt Klickrekorde, in der Sauna wird verhandelt. Aber: Wer spricht eigentlich für wen aus welchem Grund? Soderbergh hingegen macht nicht den Fehler, uns die sich verselbstständigenden Geschäftsströme zu erklären, die abseits der Halle, des Trainings, ja aufgedunsener Kerleromantik (Bill Duke) wabern. Unerklärlich ist "High Flying Bird", bleibt "High Flying Bird". Ein Genuss ist es vielmehr, wenn Soderbergh das Fließen nicht behindert – dann sehen wir André Holland beim Gehen. Er passiert Straßenkreuzungen, trifft sich, setzt sich und geht. Die einstige anarchische Körperlichkeit aus "An jedem verdammten Sonntag" (1999) hat sich überlebt. Das "Spiel im Spiel" ist entkörperlicht, miniaturisiert, entpersonalisiert.

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"Die Kunst des toten Mannes" / "Velvet Buzzsaw" [USA 2019] 8 Feb 2019 4:57 AM (6 years ago)


In den Stephen-King-Tümpel springen, Schlick rausschaufeln, etwas finden – vielleicht "Das Bild" (1995)? Oder "Der Straßenvirus zieht nach Norden" (aus der 2002 veröffentlichten Kurzgeschichtensammlung "Im Kabinett des Todes")? King hatte sichtbaren Spaß an Bildern, die sich zum Guten wie zum Bösen bekennen, lebendig werden und ihre Opfer heimsuchen. Flohmarktstoff eben. Doch der Großmeister erodierender Bindungen, die inmitten des familiären Alltagstrotts grassieren, wusste um die Spannung der Auflösung von Normalität. Er schrieb keine selbstherrliche Kunst, sondern ließ seine Leser eine Erfahrung durchleiden. Selbstherrliche Kunst ist dafür zuhauf zu finden in "Die Kunst des toten Mannes". Und jede Menge Bilder, auf denen ein Fluch lastet. Dan Gilroy ist kein Stephen King – sein Film proklamiert die Verständnislosigkeit gegenüber einer Geschichte, die bei King in der Schublade (wohl für immer unvollendet) gelegen hätte. 

Der genialische, zeitlebens unentdeckte Künstler, um den Gilroy seichte Horrorvignetten verklammert, weist eine psychotische Vergangenheit auf, entstammt einem Elternhaus, in dem er vernachlässigt wurde, und taucht für mehrere Jahrzehnte ab, um seine Depressionen zu Stillleben des Wahnsinns zu vermalen. Welches altbackene Seemannsgarn der Regisseur Dan Gilroy spinnt, spottet jeder Beschreibung. Das von seinem Kunstkritiker Morf Vandewalt (Jake Gyllenhaal) geforderte Originalitätsparadigma löst "Die Kunst des toten Mannes" jedenfalls zu keiner Zeit ein. Im Gegenteil: Erschreckend gestrig, für ein Publikum verbaut, aus dessen Mund das Popcorn bei angetragener Lautstärke wasserfallartig rieselt, verfolgen die Bilder ihre Opfer bis zu einer stillgelegten, irrationalen Tankstelle und tröpfeln aus Spiegeln, vergelten Maschinenmenschen ungerechte Kritik und schwitzen Leinwände Blut. Nichts davon will satirisch zünden oder gruseln.


Die Entwürdigungen echten Horrors sind es nicht allein, die einen entwürdigenden Film hinterlassen. Gilroy inszeniert einen Film über Kunst. In der Hochburg der postmodern unverstandenen Kunst Miami beleuchtet er die Kunstszene ausnahmslos zynisch – hier ein Gespräch, das mit Champagner brüsk abgewehrt wird, dort eine Verkettung sterilen Smalltalks. Was Gilroy darüber zu sagen hat, ist genauso einfallslos wie kunstfeindlich. Kunst ist Kommerz ist ein Geschäft ist Oberfläche. Kunst ist gefährlich. Und irgendwie sind Künstler entweder versoffene, desillusionierte Arschlöcher, die sich ihren Denkraum in einem Basketball-Atelier eingerichtet haben (John Malkovich), oder sozialvernetzte, auf dem Belag der Straße beheimatete Randexistenzen (Daveed Diggs). Manch' einer mag das als ironischen Gegenwartskommentar zu einer marktkonformen Kunstindustrie auffassen, die sich in Hochmut verkleidet und in Würdelosigkeit gefällt. 

Ideenreich ist das trotzdem nicht. Überall die Persiflage: Jake Gyllenhaal persifliert den Kunstkritiker, von dem die Welt abhängt. Er spielt ihn latent bisexuell, erregend, fahrig, mit modischer Hornbrille. Rene Russo persifliert die Branchenkennerin, biestig, steinig. Und Natalia Dyer die junge Aushilfskraft, schüchtern, schreiend. Entvölkert ist dieser Film, hohl und von der Beflissenheit eines schief hängenden Bilderrahmens. In wenigstens zwei Szenen gelingt es Gilroy, seine Munition abzufeuern: Eine blutige, einarmige Leiche wird Teil einer Installation, die von roten Schuhabdrücken orchestriert wird, und schließlich verlaufen die Farben über das Kunstwerk hinaus, erfassen die Beine, die Arme, die Hände, die Finger, den Kopf und die Augen. "Wir müssen uns selbst als ein Kunstwerk schaffen", etikettierte Michel Foucault den anbrechenden Zeitaltern ausfransender ästhetischer Urteile. Ästhetisch geschmacklose Filme wie "Die Kunst des toten Mannes" hat er damit nicht gemeint.

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"Keep an Eye Out" / "Au poste!" [F 2018] 1 Feb 2019 7:19 AM (6 years ago)


Wieder einmal die Theaterbühne, auf der sich das Sein des Lebens abspielt. Diesmal erwischt es den unscheinbaren Louis (Grégoire Ludig), der Opfer des doppelten Bodens wird, in dem sich Quentin Dupieux unlängst häuslich eingerichtet hat. Louis wird verhört, weil er eine Leiche fand (samt Bügeleisen und Blutlache), ein abgelenkter, genervter, Rauch aus seinem Bauch ausstoßender Kommissar (Mann beißt Hund: Benoît Poelvoorde) befragt ihn. Louis liefert eine Chronik sterbenslangweiliger Unauffälligkeit – sieben Luftschnappgänge später vegetiert eine weitere Leiche im Schrank des Verhörzimmers, die an einem Geodreieck starb, aber nicht entdeckt werden soll ("Cocktail für eine Leiche"?). Buchstäblich sanft, schüchtern und filmtheoretisch eher unauffällig spielt Dupieux sein Spiel mit seinen Regeln – "Keep an Eye Out" verheiligt die Ausdrucksleere in Geschichten der Entrüstung, die nie eintritt. Gegen Hunger hilft (vorerst) ein Mars-Riegel, eine Insel, ein Hundehalsband, gegen Unaufgeregtheit, Schlaffheit, Monotonie eine Sendung über Pferde. Aber Achtung: Der Schein trügt, in der Komödie reißt das Narbengewebe einer Dramödie auf, im Erzählten steuerbar zu sein. Denn gefährlich ist nichts weniger als jene Grundannahme, dass die Bilder des Jetzt und Zukünftigen womöglich inszeniert wurden. Das Leben ist eine Erzählung, aber wie jede Erzählung enthält sie Wahres, Falsches und Geheimnisvolles. Hilfe verschafft ein Verhör mit sich selbst.

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"The Favourite - Intrigen und Irrsinn" / "The Favourite" [GB, IRL, USA 2018] 27 Jan 2019 4:55 AM (6 years ago)


Die Menschen müssen sich fühlen, als ob sie Kaninchen wären. Oder Fische. Nicht umsonst betrachtet sie Giorgos Lanthimos aus Fischaugenobjektiven. Der Raum wird gestaucht, die Wände wölben sich – und die Menschen sind eingeschlossen. Erst auf den zweiten Blick mag "The Favourite" ebenfalls der Architekturfilm sein, den der griechische Autorenfilmer bereits in seinem vorherigen Werk "The Killing of a Sacred Deer" (2017) in aller pompösen Unverhältnismäßigkeit schuf. Da Lanthimos aber erstmalig die Geschichte bereist, sticht "The Favourite" ohne Zweifel heraus. Vielleicht ist "The Favourite" der zugänglichste Lanthimos, wie allerorten festgestellt. Vielleicht bleibt sich der Filmemacher, unabhängig davon, treu: Er irritiert das Vergangene, damit es verwegen wird. "The Favourite" ist insofern ein moderner Film, fremd in seiner Abweisung und gebieterisch in seinen Besitzansprüchen gegenüber der neuzeitlichen (polymorphen) Liebe, die geteilt gehört.

Was ist das aber für ein Hof, an dem Pläne geschmiedet und Intrigen gespinnt werden? Hier laufen Kaninchen Gefahr, von Stöckelschuhen sadistisch niedergedrückt zu werden, Gänse watscheln ein Rennen und Orangen dienen als Wurfgeschosse für ein hedonistisches Gelage. Die Greek Weird Wave affiziert auch diesen – zunächst – naturalistischen Sittenfilm, dessen barocker Dekor über die empfindliche Getroffenheit dazwischen hinwegtäuscht. Giorgos Lanthimos ist ganz bei sich: Die Historie verfremdet er dahingehend, dass das Historische wiederum abstrakt und doch universell gültig wirkt. Der englisch-französische Zwist kommt ohne Waffen aus und gipfelt im Irgendwo, wohingegen eine Debatte um Steuererhöhungen und die Einflussnahme des Lobbyismus bis heute das politische Tagesgeschehen bestimmt. Ein schwerer Kostümschinken ist "The Favourite" demnach nie, sondern, gelinde gesagt, existenziell in der Überspitzung von hierarchischen Strukturen.

Im Kern teilen sich drei Protagonistinnen die Bühne, auf der sich Befreiung und Fesselung die Waage halten: Königin Anne (Olivia Colman), ihre Beraterin Sarah, die Herzogin von Marlborogh (Rachel Weisz), sowie deren jüngere Cousine Abigail (Emma Stone). Sarah ist nebenbei Geliebte, ihre Königin leidet an Gicht und nutzt dies für ein erotisches Vorspiel, Abigail hingegen will den Platz überwinden, den sie zugewiesen bekam. Das exaltierte Treiben verpinselt Lanthimos zu einer gehörigen Portion latenter Fleischeslust, die zumeist unter Kerzenschein im Halbdunklen gärt. Auf die Poesie des Gesichts vertraut der Film – schier sekundenlang versteinert es sich zu Marmor, zu einer opaken Eifersucht, die diesem Theater des Regisseurs gerecht wird, die möglichst große Geste gestenreich zu vermitteln. Stets durchbricht Lanthimos die Dialektik zwischen Bedienstetem und Diener, ohne sich vor den Affekten zu hüten. Das ist wesentlich – und das ist gewiss anders im Lanthimos-Schauspiel.


Ob in "Dogtooth" (2009) oder in "The Lobster" (2015) – der ästhetische (respektive mimische) Anspruch des Lanthimos-Kinos lag darin, dass sich die Darsteller im "Darstellen" reduzieren, wodurch sie das Feurige (etwa eines Gemütszustandes) dauerhaft zu löschen wussten. Das fällt nun weg. Colman, Weisz und Stone tragen ihre vulgären Manierismen nach außen, heulen, kotzen und fressen, baden gar im Schlamm oder werden in den Dreck gestoßen. Faszinierend allein ist die Figur der Königin Anne, wie sie Colman verinnerlicht hat und wie sie sie anlegt: Komplex changiert Colman von einem Extrem weinerlicher Aufmüpfigkeit zum anderen Extrem aufgekratzter Diabolik. Sie spielt eine Politikerin, der es verhasst ist, Ansprachen zu halten. Ihre Verfassung ändert sich sprunghafter denn je, als Abigail (Stone) in ihr durchorganisiertes Leben tritt. Vitalisierend, frech und voller Doppeldeutigkeit, will sich Abigail ihre Rolle am Hof erkaufen. Mit Büchern und Kräutern.

Entsprechend ist "The Favourite" auch in seinem homoerotischen Mäandern nicht immer hermetisch verschlüsselt. Garniert mit Witz und Spott (gab es jemals eine lakonischere Hochzeitsnacht?), formuliert Lanthimos seine Frage nach der Liebe inmitten von Abhängigkeit und Anhänglichkeit von Grund auf neu: Funktioniert Liebe, wenn sie ehrlichen Austauschs und daher manchmal sadistischer Untertöne ist? Oder verlangt Liebe Unterordnung, Kreuzbravheit, Idealisierung? Wo Sarah (Weisz) ihre Königin als "Dachs" denunziert und von der Nichtverstellung Gebrauch macht, steht ihr Abigail auf Gedeih und Verderb zur Verfügung. Aller weiblich intriganten Wechselbeziehungen zum Trotz, die Lanthimos nicht durchweg hochspannend abfilmt, tanzen die Frauen nicht selten auch gegen die Männer, gegen blumige Perücken und Leberflecke (Nicholas Hoult). Es gehört zur Pointe Giorgos Lanthimos', dass die umstürzlerischsten von ihnen zurück auf ihre Plätze verwiesen werden.

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Die imposanten 7: Erstsichtungen 2018 23 Jan 2019 1:41 PM (6 years ago)

Platz 7

AUF DIE HARTE TOUR
("The Hard Way", USA 1991/Regie: John Badham)


Platz 6

WER DEN WIND SÄT
("Inherit the Wind", USA 1960/Regie: Stanley Kramer)


Platz 5

BERLIN ALEXANDERPLATZ
(BRD, I 1980/Regie: Rainer Werner Fassbinder)


Platz 4

DIE 120 TAGE VON SODOM
("Salò o le 120 giornate di Sodoma", I, F 1975/Regie: Pier Paolo Pasolini)


Platz 3

SEIN ODER NICHTSEIN
("To Be or Not to Be", USA 1942/Regie: Ernst Lubitsch)


Platz 2

DAS LOCH
("Le Trou", F 1960/Regie: Jacques Becker)

| Kritik |


Platz 1

ABSOLUTE GIGANTEN
(D 1999/Regie: Sebastian Schipper)

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"Glass" [USA 2019] 18 Jan 2019 6:24 AM (6 years ago)


David Dunn. Unzerbrechlich.

Elijah Price. Zerbrechlich.

Kevin Wendell Crumb. Zersplittert.

19 Jahre nach "Unbreakable" (2000) begegnen sich drei Superhelden wider Willen, die erst üben müssen, sich als solche begreifen zu lernen. Bruce Willis, Samuel L. Jackson und James McAvoy vervollkommnen ein Ensemble-Orchester, das der indische Mystery-Magier M. Night Shyamalan nach zwei Vorgängerfilmen zusammenführt. Bezog sich "Unbreakable" auf einen Mann (Willis), der wundersamerweise ein Zugunglück überlebt hat, und seinen Widerpart (Jackson) in einem dialektischen Licht- und Schattencomic kennenlernte, fächerte Shyamalan in "Split" (2016) das gewalttätige Ego eines Patienten (McAvoy) mit multipler Identitätsstörung auf. Drei Menschen, drei Fähigkeiten – und ihre heimatlose Wildfremdheit in einer fragmentierten Postmoderne. Wo sich Shyamalan – zumindest in "Unbreakable" – als talentierter Handwerker vorstellte, der in sperrigen und kunstvollen Einstellungen die existenzielle Begegnung des Menschen mit kosmischen Kräften untersuchte, zieht "Glass" alle Register eines ulkigen Spätwerks des Regisseurs: ein gepresster, psychologisch bräsiger, nicht selten unfreiwillig komischer Film auf wechselnder Betriebstemperatur, der den Heldentod stirbt.

M. Night Shyamalan sah, so der 49-Jährige auf der CinemaCon 2018, den "ersten bodenständigen Comicfilm" vor. Der inflationäre Einsatz der (schlecht getricksten) "Bestie" (McAvoy) konterkariert allerdings, unter Umständen, das Attribut „bodenständig“. Eher ist "Glass" – wie "Unbreakable" und "Split" – manchmal ein Filmgeschichte entrümpelnder Exploitationfilm, manchmal ein gegenwartsreflexiver Comic, der über sein eigenes Format sinniert und eine flammende, dem Popheiligen verhaftete Rede hält. Insofern gleichen sich die Charaktere Willis', Jacksons und McAvoys, indem sie Comic-Archetypen metatextuell entsprechen. Der "Held", der "Mastermind" und sein deformierter "Handlanger" bevölkern eine Origin-Story, die zugleich den Status des Heldischen in einer "postheroischen Gesellschaft" (Herfried Münkler) kommentiert. Hierin weiß Shyamalan, einen geradewegs doppelbödigen, zumeist auch angenehm empathischen Film zu inszenieren, der das Exorbitante vieler Comicverfilmungen realistisch erdet. Aber sowohl die Selbsthinterfragung als auch das schlussendliche Spektakel, auf das der Regisseur offenbar unmöglich verzichten kann, schlagen in die extremsten Richtungen beider Seiten aus.


Der moderne Superheldenfilm verlangt es, dass sich dessen Titelheld therapiert. Nicht nur seit der "TheDarkKnight"-Trilogie (2005-2012) verfinsterte sich der Idealismus des Außenseiters insoweit, dass sich die übernatürliche Individualität des Helden psychisch auch gegen sich selbst wenden kann. Folgerichtig treffen die drei ungleichen Protagonisten in "Glass" in einer psychiatrischen Klinik aufeinander. Dort setzen sie sich mit der Frage auseinander, ob sie sich ihre Fähigkeit, anders als der Rest zu sein, einbilden oder nicht. Während Sarah Paulson ein Schild auf ihrem Rücken trägt, auf dem dick und breit ihre Berufsbezeichnung ("ignorante Wissenschaftlerin") vermerkt ist, walzt Shyamalan diese Szenen, die den Großteil des Films ausmachen, unendlich aus. Höhepunkt dürfte eine an die zehn Minuten dauernde Gruppensitzung sein, die mittels Schuss-Gegenschuss-Montage unsäglich fantasielos die Hilflosigkeit eines einstigen Bildverstehers unter Beweis stellt, der sich in seiner Wichtigtuerei stets verhaspelt. Es ist, davon einmal abgesehen, ohnehin zu bezweifeln, ob Shyamalan überhaupt diese Frage in dieser Breite verhandeln muss – schließlich verformte sich in "Unbreakable" bereits die physikalische Umgebung, als David Dunn (Willis) aus dem Fenster stürzte.

Viel Zeit für eine Frage also, deren Antwort seit 19 Jahren feststeht. Nie wirklich verliert sich "Glass" in seinen Paradoxien, allzu umständlich dialoggetrieben stagniert das Geschehen unter dem Vorwand, die Größe des Diskurses damit zu steigern. Die Intertextualität zwischen drei Filmen verlangt es zudem, dass Shyamalan nicht nur die Haupt-, sondern ebenso die (gealterten) Nebenfiguren einbinden muss. So erscheinen Dunns Sohn (Spencer Treat Clark), Elijahs Mutter (Charlayne Woodard) sowie das ehemalige Entführungsopfer Kevins (Anya Taylor-Joy) als der Handlung untergeordnete, hineingezwungene Verweisketten, die die Origin-Story insgeheim augenzwinkernd komplettieren – nur durch Liebe kann das Biest gebändigt werden. Wenn Dunns Sohn Joseph (Clark) sich an einen intimen Moment aus "Unbreakable" erinnert – Vater und Sohn testeten gemeinsam Gewichte aus –, dann gelangt der Film über reines selbstreflexives Stichwortgeschiebe hinaus. Ob "Glass" jedoch eine komplexere Alternative zu Marvel und DC ist, darf angezweifelt werden. Die "Erdung", die Shyamalan einst proklamierte, ist spätestens im letzten Drittel Geschichte: die Verschwommenheit der Identität macht Platz für einen privilegierten Geheimbund und der Held bekämpft doch wieder seine Feinde, um doch wieder unsterblich zu werden.

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Gesehenes - Dezember 2018 13 Jan 2019 5:15 AM (6 years ago)


"The Innocent Man" //7
(USA 2018 | Clay Tweel; Netflix)

"Fake or Fortune?" //7
(GB 2010 | Season 4; Netflix)

"Inside the World's Toughest Prisons" //5
(GB 2018 | Season 3; Netflix)

"Bad Banks" //4.5
(D 2018 | Christian Schwochow; Netflix)

"Palettes - Von Duchamp zu Pop-Art" //6
(F 1993-1999 | Alain Jaubert; Verleih-DVD)

"Palettes - Die Großen der Moderne" //6
(F 1993-1999 | Alain Jaubert; Verleih-DVD)

TV-Folge: "The Good Place" - 1x01 | "Everything Is Fine"
(USA 2016 | Drew Goddard; Prime Video)

TV-Folge: "The Good Place" - 1x02 | "Flying"
(USA 2016 | Michael McDonald; Prime Video)

TV-Folge: "The Good Place" - 1x03 | "Tahani Al-Jamil"
(USA 2016 | Beth McCarthy-Miller; Prime Video)

Dokumentation: "ReMastered: Who Killed Jam Master Jay?" //4
(USA 2018 | Brian Oakes; Netflix)

Dokumentation: "Out of Many, One" //3
(USA 2018 | John Hoffman, Nanfu Wang; Netflix)

"Die Milchstraße" //6
(F, I 1969 | Luis Buñuel; Verleih-DVD)

"Stephen Kings Stark" //5
(USA 1993 | George A. Romero; Blu-ray)

"Wie überleben wir Weihnachten?" //5
(USA 2004 | Mike Mitchell; TV)

"A Beautiful Day" //5
(F, USA, GB 2017 | Lynne Ramsay; Prime Video)

"Molly's Game" //6
(USA 2017 | Aaron Sorkin; Prime Video)

"The Death of Stalin" //5
(GB, F 2017 | Armando Iannucci; Prime Video)

"Feinde - Hostiles" //5
(USA 2017 | Scott Cooper; Prime Video)

"Get Out" //4.5
(USA 2017 | Jordan Peele; Verleih-DVD)

"No Way Out" //6
(USA 2017 | Joseph Kosinski; Prime Video)

"First Reformed" //6.5
(USA 2017 | Paul Schrader; Prime Video)

"Last Flag Flying" //4
(USA 2017 | Richard Linklater; Prime Video)

"Leichen unter brennender Sonne" //3
(F, B 2017 | Hélène Cattet, Bruno Forzani; Prime Video)

"The Endless" //4
(USA 2017 | Justin Benson, Aaron Moorhead; Prime Video)

"Wonderstruck" //7
(USA 2017 | Todd Haynes; Prime Video)

"Hereditary" //7
(USA 2018 | Ari Aster; Prime Video/Blu-ray)

"3 Tage in Quiberon" //6
(D, Ö, F 2018 | Emily Atef; Prime Video)

"Ready Player One" //6
(USA 2018 | Steven Spielberg; Prime Video)

"Mogli: Legende des Dschungels" //4
(USA 2018 | Andy Serkis; Netflix)

"Die Welt gehört dir" //6
(F 2018 | Romain Gavras; Netflix)

"Roma" //7
(MEX, USA 2018 | Alfonso Cuarón; Netflix)

"Polizeiruf 110: Tatorte" //6.5
(D 2018 | Christian Petzold; TV)

"Das schweigende Klassenzimmer" //6
(D 2018 | Lars Kraume; Prime Video)

"Bird Box" //5
(USA 2018 | Susanne Bier; Netflix)

"A Quiet Place" //2
(USA 2018 | John Krasinski; Prime Video)

"Black Mirror: Bandersnatch" //4.5
(USA, GB 2018 | David Slade; Netflix)

"The Equalizer 2" //5
(USA 2018 | Antoine Fuqua; Verleih-Blu-ray)

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"Shoplifters - Familienbande" / "Manbiki kazoku" [J 2018] 10 Jan 2019 7:16 AM (6 years ago)


Mutterschaft sei das größte und komplexeste Thema, über das die amerikanische Journalistin, Autorin und Mutter Hillary Frank je berichtet habe. Frank wollte, zum Beispiel, untersuchen, warum so viele Mütter nach der Geburt mit Schmerzen im Beckenbereich lebten, warum es – selbst im Lichte aufklärerischen Fortschritts – immer noch einem Sakrileg gleichkommt, wenn Sexualität explizit "in der Luft" liege. Antworten bekam die Podcasterin mit einem bisweilen brüsken, gar prüden Warnhinweis. Es sind diese von sich weisenden Antworten, bei denen jedoch allein die Frage lohnt. Solche Fragen, wenn auch weniger physisch manifesterer Natur, stellt Hirokazu Koreeda in "Shoplifters". Fragen, wie sie das gesellschaftliche Zusammenleben betreffen: Was bedeutet es, Mutter zu sein? Beginnt Muttersein mit dem Gebären oder "wird" eine Mutter zur Mutter? Was ist, schlussendlich, Familie? Und woraus erwächst Identität – aus der Verwurzelung oder der Vereinzelung, dem willenlosen Hineingeborenwerden oder dem separaten Hineinwachsen, aus einem Ist-Zustand oder aus einem kommunikativen Kontext?

Das Kind in "Shoplifters" (Miyu Sasaki), bei dem sich diese und ähnliche Fragen berühren, ist ein süßes, verschwiegenes Mädchen namens Yuri. Yuri wird „entführt“ – zumindest nach gängigem Straftatbestand. In Wahrheit lernt Yuri in ihrer neuen Familie, in ein Leben geworfen zu werden, das ihr zwar viel abverlangt, aber zugleich einlädt, dass sie in ihm wirken kann und als mündiges Subjekt Zeugin ihres "Personwerdens" (Niklas Luhmann) wird. Koreeda spielt, ohne den melodramatischen Unterbau allzu sehr auszubauen, subtil auf Yuris leibliche Eltern an. Dazu genügt eine markante Verbrennung auf Yuris Arm, und dadurch schafft der Filmemacher die Bedingungen für ein pädagogisches Gedankenexperiment: Was wäre, wenn Yuri andernorts jene Liebe und Zuneigung erfährt, die ihr – offenbar – verweigert wurde? Das heißt nicht, dass "Shoplifters" für ein Erziehungskonzept plädiert. Gleichwohl erprobt der Film eine funktionale Vorstellung von Erziehung innerhalb außerschulischer Sozialisationsbedingungen und verpackt es in ein raffiniertes, erlebensreiches Aneignen von Welt.


Dieses assoziative "Aneignen" entwickelt sich vor dem Hintergrund basaler Armut bis in die unweigerliche (dramaturgisch etwas zu bemüht ausgetragene) Katastrophe hinein. Denn "Shoplifters" wird der Tradition eines ungeschminkten, proletarischen Autorenkinos gerecht, das die Verwerfungen der Gegenwart kaum noch magisch verfremdet oder ironisch hinterfragt, um sie zeitkritisch zu kommentieren. Die quasiavantgardistische, umwerfend umschlingende Metropole Tokio schiebt sich in "Shoplifters" zugunsten eines engen, gestauchten Raums beiseite, der von einer zusammengewürfelten "Familienbande" Körper an Körper bewohnt und verwaltet wird. Das Geld ist knapp, die Arbeit spärlich (Reinigung) und entwürdigend (Sex), Entlassungen drohen. Während ein Arbeitsunfall den "Vater des Hauses" (Lily Franky) zeitweise erwerbsunfähig macht, verdient er sich seine Brötchen – unter Mithilfe des ebenfalls spontan aufgelesenen Jungen Shota (Jyo Kairi) – mit taktischen Ablenkungsmanövern vor Supermarktregalen. Gestohlen wird alles, Murmeln, Shampoo, auch Angelruten für den Weiterverkauf.

Nie glorifiziert Koreeda dabei die kriminelle Energie der Beteiligten. Das Stehlen ist ihr eigener innerer Rückzugsort, ein fragiles Gefühl der Gemeinsamkeit lebendig zu halten. Wie "Shoplifters" überhaupt Leben "probiert", geradezu "schmeckt", sorgt dafür, dass die Nudeln (im Sommer: kalte Nudeln!) noch ein wenig leidenschaftlicher gemampft werden als in vielen anderen asiatischen Filmen. Hat man jemals ein fleischlicheres Nudelschlürfen gesehen als in "Shoplifters", eine von Schweiß durchtränktere Sexszene, frostigere Wellen, trüberes Sonnenlicht? Und unter all‘ dem behaglichen Gemeinschaftssinn, den Koreeda evoziert, findet sich ein Mädchen, das zunehmend spricht und zunehmend mehr spricht, sich in einem Badeanzug wohlfühlt und nichtintentional – durch Erproben – lernt. Die Wurzeln der Identität kann Yuri womöglich nicht herausreißen, aber "Shoplifters" liefert einen fundamentalen Beitrag, für den Hillary Frank distanziert beäugt wurde: In Zeiten pluraler Lebens- und Beziehungsverhältnisse, in Zeiten, in denen die Heimat zu einem Aggressor identitätspolitischer Abschirmung mutiert, wird diese Werdenserzählung an das Handeln geknüpft.

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"Bird Box - Schließe deine Augen" / "Bird Box" [USA 2018] 4 Jan 2019 5:43 AM (6 years ago)


Wenn die Menschheit auszusterben droht, ist jeder gleich: Mütter (Sandra Bullock, Danielle Macdonald), Kurzzeitpärchen (Rosa Salazar, Machine Gun Kelly), Nerds (Lil Rel Howery), Asiaten (BD Wong), Arschlöcher (John Malkovich). Ein, zweifellos, ideologiefreier Diversity-Querschnitt. Zwei leben eine Romanze, überleben wider Erwarten (Bullock, Trevante Rhodes). Susanne Biers Dystopie "Bird Box" sammelt fleißig die Überbleibsel jener kanonischen Filme vergleichbarer Machart, die ein Mahnmal hinterließen, indem sie die Gefahren des Zukünftigen – einer prophetisch differenzierten Geschichtsschreibung – aufgezeigt haben. Nur: Wo positioniert sich "Bird Box"

Die Bedrohung kulminiert im Richtungslosen, Beliebigen – die Menschen mutieren zu willenlosen Todesengeln, wenn sie sehen. Wer dirigiert das? Aliens? Eine kosmische Macht? Bier löst das Rätsel nicht, sie tut gut daran, es nicht zu lösen. Ihr Film ist waghalsig und zwingend, sobald der Zuschauer "infiziert", angesteckt wird, sobald er nicht sieht. Szenen intim ausgetragener Handlungsunfähigkeit resultieren – eine Gruppe bildet sich heraus, setzt sich in ein Auto, schirmt die Scheiben ab und fährt zu einem Supermarkt, um Vorräte zu besorgen. Das Navigationssystem geleitet sie blind zum Zielort, auf der Straße tote Körper, zertrampeltes Fleisch: "Bodenwellen." 

Susanne Bier wehrt sich daraufhin gegen das, was von außen "hereinbricht", denn die Kamera (Salvatore Totino) ist frontal auf die Fahrer gerichtet, adaptiert, verdichtet, zerstört deren Sehfeld. Einzig die warnenden grafischen Balken des Navigationssystems weisen auf Hindernisse hin, die zunehmend allerorten aufblinken. Diese Benommenheit gegenüber den eigenen Möglichkeiten und persönlichen Wirkbereichen färbt auf eine Fantasie ab, die im Kino Wirklichkeit werden kann, von der aber niemand ernsthaft träumt: den Zwang, die Augen schließen zu müssen, obgleich die Bilder zu verführerisch wirken, um ihnen nicht zu erliegen.


Während George A. Romero 1978 den Konsumtempel Mall entsakralisierte, ergötzen sich die Figuren in "Bird Box" an der Fülle gefüllter Regale, sie erleben einen errettenden (alkoholisierten) Hochmoment, der sie übergangsweise lähmt. In "Bird Box" ist vieles ein wenig kleiner, behäbiger, substituierbarer als bei Romero. Die Charaktere entsprechen den langbärtigsten Klischees auf zwei Beinen, und wieder ist die Aussicht auf ein Walhalla, ein ökologisches Utopia fernab der Katastrophe, der langweilige Katalysator für eine gefahrvolle (ausreichend naturerhaben bebilderte) Reise über einen Fluss und dessen Stromschnellen. Eric Heisserer macht da weiter, wo seine Drehbücher bis einschließlich "Arrival" (2016) aufhörten – in einer zentnerschweren, ernsten Stimmung. 

Das Auge für die Geschichte hat Heisserer dagegen oft nicht. Der Einfall, psychisch kranke Patienten würden überleben, ohne ihre Augen zu schützen, und die Verbliebenen mit Waffengewalt dazu nötigen, sich zu „finden“, ist moralisch fragwürdig und schlicht dilettantisches Schreiben, denn damit überwindet der Film seinen figurativ-familiären Rahmen und tendiert zur konstruierten Breitenberichterstattung. Regie und Drehbuch spielen jene Haltung, auf die es ankommt, viel zu selten aus – Sandra Bullock verkörpert eine Mutter, die erst zur Mutter werden muss. Ihr verhärmtes Schauspiel spiegelt sich in den beiden Kindern, für die sie keine Namen hat. 

Ihr "Junge" (Julian Edwards) und das "Mädchen" (Vivien Lyra Blair), um das sie sich nach dem Ableben ihrer Mutter (Macdonald) kümmert, gießen das emotionale Fundament dieses Films. Bullock ist glaubwürdig, wenn sie Seile spannt und den Weg zurück fixiert, wenn sie unter einer Decke ihren Kindern gestattet, die Augenbinde abzunehmen und wenn ihre Mutterwerdung im Zeichen einer Identitätswerdung des Anderen steht – der Name benennt das Ding, das Ding wird Mensch und der Mensch verhilft den Menschen zur Akzeptanz. Malorie (Bullock) – wir lernen sie als abschätzig witzelnde Malerin kennen – lernt diese Lektion. Die Kunst, das Auge, half ihr dabei nicht.

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Jahresstinker 2018 2 Jan 2019 4:12 AM (6 years ago)

Platz 10

WIND RIVER
(USA, GB, CDN/Regie: Taylor Sheridan)


Platz 9

22. JULI
("22 July", NL, ISL, USA/Regie: Paul Greengrass)

| Kritik |


Platz 8

OPERATION: 12 STRONG
("12 Strong", USA/Regie: Nicolai Fuglsig)


Platz 7

AUSLÖSCHUNG
("Annihilation", USA, GB/Regie: Alex Garland)


Platz 6

MANDY
(USA, B, GB/Regie: Panos Cosmatos)

Kritik | 


Platz 5

SICARIO 2
("Sicario: Day of the Soldado", USA/Regie: Stefano Sollima)

| Kritik |


Platz 4

DEATH WISH
(USA/Regie: Eli Roth)



Platz 3

A QUIET PLACE
(USA/Regie: John Krasinski)


Platz 2

AVENGERS: INFINITY WAR
(USA/Regie: Anthony Russo, Joe Russo)

Kritik | 


Platz 1

PARADOX
(USA/Regie: Daryl Hannah)

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Jahresfavoriten 2018 31 Dec 2018 1:11 PM (6 years ago)

Platz 10

NANOUK
(F, D, BUL/Regie: Milko Lazarov)

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Platz 9

FIRST REFORMED
(USA, GB, AUS/Regie: Paul Schrader)


Platz 8

IT COMES AT NIGHT
(USA/Regie: Trey Edward Shults)


Platz 7

PRIVATE LIFE
(USA/Regie: Tamara Jenkins)


Platz 6

ROMA
(MEX, USA/Regie: Alfonso Cuarón)

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Platz 5

HEREDITARY - DAS VERMÄCHTNIS
("Hereditary", USA/Regie: Ari Aster)


Platz 4

GLÜCKLICH WIE LAZZARO
("Lazzaro felice", D, F, I, CH/Regie: Alice Rohrwacher)

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Platz 3

THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI
(USA, GB/Regie: Martin McDonagh)

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Platz 2

DER SEIDENE FADEN
("Phantom Thread", USA/Regie: Paul Thomas Anderson)

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Platz 1

TRANSIT
(D, F/Regie: Christian Petzold)

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Knapp gescheitert:

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"Cold War - Der Breitengrad der Liebe" / "Zimna wojna" [PL, F, GB 2018] 27 Dec 2018 2:26 PM (6 years ago)


Einen Liebesfilm ohne Liebe zu drehen, geht folgerichtig aus dem Werk Paweł Pawlikowskis hervor. Sein Liebespaar (Joanna Kulig, Tomasz Kot) bewegt, vertröstet und beschläft sich über 15 Jahre hinweg, im Osten wie im Westen. Die Jahre verstreichen, museal archiviert in einer stummen Zeitangabe, die Musik streift das Gefühlsleben beider Liebender: Wiktor (Kot) ist Komponist, der ein Auge auf die sinnliche Sängerin Zula (Kulig) geworfen hat. Pawlikowskis Film zerberstet – ähnlich wie "Ida" fünf Jahre zuvor – vor ausreichender mathematischer Berechnung, signiert mit einer bedrohlichen retrospektiven Atmosphäre stalinistischer Felsigkeit, die den Hang zum Gestellten, ja Gestelzten hat. Die Liebe wird zweifach erdrückt – der Filmemacher interessiert sich für die Bedingungen der Liebe inmitten eines künstlerischen Milieus politisierter Lebensbedingungen. Den Übergang von visionärer Eigenständigkeit zu verführerischem Anpassungszwang trifft Pawlikowski dezent, wenn die Musik den rauen Kriegsfolgen zu Beginn jungfräulichen Hoffnungscharakter verleiht, die Ode an das Glück ein paar Jahre später jedoch zur instrumentalisierten Ode an Stalin (vor einem monumentalen Porträt) mutiert. In "Cold War – Der Breitengrad der Liebe" gerinnt das Nichtdarstellende und Auslöschende gelegentlich zum K(r)ampf der Ausdrucksmittel; Pawlikowski vergisst, wer diese Menschen sind, von denen er erzählt. Menschen, die schließlich der Wind – kaum lyrischer und symbolbeladener hätte das sein können – aus dem Bild verweht.

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"El autor" [E, MEX 2017] 25 Dec 2018 2:51 PM (6 years ago)


Er habe kein Talent. Álvaro (Javier Gutiérrez) schreibt und schreibt. Und schreibt und schreibt. Viele Jahre ein Kurs, wie man schreibt. Viele Jahre der Versuch, Literatur zu schreiben, er nennt es "Wahrheit". Bis Álvaro – er machte Schluss mit seiner Frau (María León), einer Autorin von Groschenbestsellern, nachdem sie fremdgegangen ist – in eine neue Wohnung zieht und an einen neuen Arbeitsplatz wechselt: funktional, weiß, gereinigt, der Apfel fehlt. Bald ist ihm die nachbarschaftliche Kooperation Fluch und Segen zugleich. Um Literatur (aus dem Leben) zu schaffen, verschafft er sich die Informationen – das Geschnatter, das Getuschel – während des Schachspielens, sinisteren Belauschens, einiger konspirativer Affären und einem sachdienlichen Rollentausch. Was ist Literatur? Wann schreibt man Literatur? Manuel Martín Cuenca hat eine Antwort verfilmt, so aphoristisch wie untröstlich: Es reicht nicht, sich nackt (wie Hemingway) an den Computer zu setzen und drauflos zu tippen und zu hoffen, das Getippte entspräche Literatur. Literatur ist kein Workshop, sondern ein Lebensratgeber und Weltsinn in einem, ein sozialer intrinsischer Wert. Auch wenn Álvaros Geschick offenkundig ist, die Ereignisse zu verschriftlichen, die er zu lenken vermag, produziert er eine biedere, extrinsische Ereigniskette, der es entschieden an einem erlebenden Innenraum mangelt. Álvaro hat Talent, aber er weiß nicht, was Literatur ausmacht.

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"Polizeiruf 110: Tatorte" [D 2018] 22 Dec 2018 9:46 AM (6 years ago)


Wenige beleben Geister beiläufiger als Christian Petzold. Seine Geister schweben nicht, sondern schwelen und fahren stundenlang durch das, was erst noch Moderne werden muss oder gar noch Vormoderne ist. So auch Matthias Brandt und Maryam Zaree. Über das Land, über die Autofahrten, in denen sich Brandt und Zaree (wie in einem schlechten Krimi) dialogisch befragen, legt sich ein trübes Samuel-Barber-Requiem, es sind Hanns von Meuffels‘ allerletzte Fahrten. Früher war er ein eifriger, hippeliger Ermittler, eifrig und hippelig wie seine ihm zugeteilte Assistentin Nadja (Zaree). Nachdem die Trennungskrise kam und mit ihr die eingepackten Umzugskartons, folgt die Sinnkrise. Der "Fall" um ein (anfänglich) familiäres Beziehungsdrama rumort doppeldeutig in den fahlen Flächen dieser Figur, in denen Petzold Miniaturen zerstreuter Erschöpfung inszeniert: Der Ermittler kämpft gegen ein Dampfbügeleisen und eine SIM-Karte, die unter Anstrengung in sein neugekauftes Smartphone gezwungen werden muss, wohingegen der Kaffee langsamer köchelt als sonst. Platz hat der alte Hanns von Meuffels lediglich in einer expressiven Performance, sich in den Tathergang einzufühlen. Die Tatorte sind mindestens ausdruckslos, höchstens gestellt, die Liebe unter Schmerzen an die Haut getackert. Dennoch lebt "Polizeiruf 110: Tatorte" von seiner verschwiegenen Schönheit – den anderen, das verletzte Tier, zu tragen, bedarf einer Kraft, vergleichbar mit einem Schuss.

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"Roma" [MEX, USA 2018] 19 Dec 2018 12:35 AM (6 years ago)


An der Einfahrt, einer viel zu schmalen Einfahrt, entlädt sich das Gepäck, das eine Familie zu unruhigen Zeiten trägt. Der Ford Galaxie, ein viel zu breites Auto, hat Mühe, diese Einfahrt ohne eine Schramme zu passieren. Millimetergenau, präzise abgerichtet auf den fingernageldicken Raum zwischen Wand und Karosserie, tastet sich das Gefährt voran, setzt zurück, ruckelt nach vorn, Gas, Bremse, Achtung: verbogener Seitenspiegel. In dieser Einfahrt spielt das Leben, wie das Leben spielt. Ein Hund bellt, hoffend, der Einfahrt eines Tages entdeckungsgierig zu entkommen, Hagel zerspringt in Regenpfützen und wird zu Reis, die Kinder spielen wie Kinder spielen, während die Verwehungen des Verlassenseins eine Ankunft ohne Angekommenen bedeuten. Eine Zusammenfassung von "Roma" erübrigt sich – die Einfahrt des Hauses birgt die ganze Geschichte in sich. 

Zu weiten Teilen spielt der Film in einem, wenn nicht dezidiert feministischen, so doch wenigstens dezidiert chancenoptimistischen Milieu weiblicher Bestärkung und Stützung – der Mann (Fernando Grediaga), ebenso Vater wie Arzt, befährt immer seltener die Einfahrt, um seine Familie herzlich in Empfang zu nehmen. Das Familiensinngefüge erodiert in diesem sich umschlingenden Filmpoem von Alfonso Cuarón, der sich erinnert. Seine Erinnerungen durchleben ein Wirken, bei dem das Auge, das innere, das Leben gar nicht mehr zu fixieren und daher gar nicht mehr zu registrieren imstande ist. Was schließt dieses Leben ein? Ein persönliches Schichten von Dingen, das unaufhaltsame Auf und Ab der Dinge, etwa Coca-Cola-Flaschen und Bücher inmitten der Dinge, die sich stapeln, vernetzen und sich jeweils im anderen Ding erkennen.


Dinge werden fortgespült und wieder angeschwemmt. Die Protagonistin ist, passenderweise, Hauswirtschafterin, Nanny, Seelsorgerin. Cleo (Yalitza Aparicio) durchschreitet die Räume, die sich ihr bieten. Sie reinigt sie. Das schaumige Putzwasser neutralisiert den Kot des Hundes, sammelt sich, fließt ab. Sie lebt ein Leben, das dem Verfließen trotzt. Mit angemessener Reserviertheit observiert Alfonso Cuarón dieses Wesen der Unscheinbarkeit, zu dem der Zuschauer erst nach einer Eingewöhnungsphase eine Bindung aufbaut. Die Kamera "observiert" in gleichem Maße ihre Schritte, wohin sie sich wie schnell oder langsam, gehetzt oder ermüdet bewegt, ohne ihre Privatheit zu stören. Von rechts nach links, von links nach rechts schwenkt die Kamera, tastet ab (für die sich der Filmemacher höchstselbst verantwortlich zeichnet). 

Großaufnahmen – ihrem filmsingulären, allgemeinen Charakter nach, ergründen, intensivieren sie die Genese des Gefühls – bleiben dementsprechend vernachlässigbare Werkzeuge, in die Bezogenheit des Leibs einzudringen. Cuarón wählt stattdessen einen Betrachtungswinkel, der das Mexiko der 70er Jahre als Brandung aus der Distanz des Rückläufigen interpretiert: Ununterbrochen werden Vorder- und Hintergrund der gleichen Einstellung symphonisch verschaltet. Ununterbrochen geschieht etwas, aber nie direkt, sondern indirekt, an den Rändern, Ecken, Tischkanten. Weil diese detailhaltige Verstopfung auf Abstand gehalten wird, indem sie der Film ornamental, verschwenderisch anordnet, provoziert Cuarón die Frage, ob seine Erinnerungen Gültigkeit besitzen, auch wenn sie womöglich im Kleinen und Kleinsten unvollständig, nebulös erscheinen.


Deshalb ist dem ästhetischen Formgedanken von "Roma" einerseits eine moralische Nichtverurteilung, aber andererseits nicht weniger als ein aufrichtiges Bekenntnis eingeschrieben, dass die Erinnerung, wenn sie sich auf die Dinge der Dinge konzentriert, längst nicht vollständig rekonstruierend wirken kann. Der soziale Entwurf, den Cuarón skizziert, evoziert aus diesem Grund eine ihm eigene Lebendigkeit eines Panoramas statt eines Nahfeldes. Bisweilen neorealistisch und politisch verschlüsselt gelingt es dem Filmemacher, ein Klima verträumter Milde zu beschwören, in dem die Dinge, Menschen, Menschendinge genauso verschwinden, sie sie jäh erschienen sind – der Abspann läuft, der Geliebte verschwindet, die Straßenkapelle spielt, der Geliebte ist verschwunden. In zweifacher Funktion ist "Roma" ein Film des Verschwindens und Wiederbegegnens. 

Ein Film des Verschwindens und Wiederbegegnens, dessen Protagonistin von der Natur schicksalhaft erfasst wird. Brände, Wellen, ein tot zur Welt gekommenes Kind – mit welcher Urkraft Alfonso Cuarón die Höhen und Tiefen der uneigennützigen Existenz auslotet, hat immersives Format. "Roma" ist von einer Energie und Erregung, dass sich der Film (auch) eine Art der Widergesetzlichkeit leisten kann. Schließlich erscheint das Leben im Mexiko der 1970er nicht komplett herausfordernd (Studentenproteste), es erscheint albern, komisch, herzhaft komisch wie Kampfsporttraining, dessen Teilnehmer von Lastwagen weggekarrt werden. Cleo (Aparicio) geht als Siegerin hervor, obwohl sie niemals einer Wette zustimmte. Diese tapfere Frau schützt die Kinder am Strand, nachdem sie sie gerettet hat. Das Bild gefriert zu einer marmornen Pietà. Und dann ist sie weg, verschwunden.

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"Leto" [RUS, F 2018] 14 Dec 2018 5:27 AM (6 years ago)


Bleiern sitzen gleichgeschaltete Zuschauer vor der Bühne, klatschen zurückhaltend, johlen parteilogisch, erheben sich, wenn sie sich erheben sollen. Trotz David Bowie, Iggy Pop und den Talking Heads spürt man, dass das musikalische Sowjetrussland der 80er Jahre mehr Schwung und weniger Schranken braucht. Das Versprechen "Schwung" (respektive Lust, Lebenslust, allgemein Lustreizung) löst Kirill Serebrennikov dort ein, wo er seine Protagonisten loslöst: in comicästhetisch collagierten Clips, in denen der Gesang auf die Bevölkerung und deren Alltag überschwappt. Ob "Psycho Killer" in einem Zug oder "The Passenger" während einer Busfahrt – "Leto" verrührt, momentweise, ein ideologisch-eskapistisches Gegengift ohne ein Narrativ spießig-systemtreuer Werte (die in einer der witzigsten Szenen der Musik dennoch nachinterpretiert werden müssen). Aber ekstatischer Gesang und damit die Positionierung des Selbst inmitten einer Welt der Selbst-Losigkeit ist nicht nur alleiniges Thema von "Leto". Serebrennikov erzählt nebenher eine Geschichte fragmentarischen Zusammenseins maßgeblich am Beispiel einer Dreiecksbeziehung (Irina Starshenbaum, Roman Bilyk, Teo Yoo), die, wortwörtlich, im Untergrund ihre eigenen kruden Wege beschreitet. Das Erzählmaterial dieses Films ist demnach nicht "frei" – nicht frei von Liebkosungen aus dem Drehbuch-Wallmart, vor allem nicht frei von komplizierten Gefühlen einer komplizierteren Liebe gegenüber. Anstatt die Liebe zur Musik auszukosten, ist "Leto" ganz viel Schmalspurdrama und die Aufforderung zum Streiten.

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"Aufbruch zum Mond" / "First Man" [USA 2018] 12 Dec 2018 1:06 AM (6 years ago)


Das existenzialistische Verlorensein, die DNA der Science-Fiction-Philosophie schlechthin, begeistert Damien Chazelle beileibe nicht. "Aufbruch zum Mond" ist ein Biopic technizistischer Entmachtung – die Astronauten um Neil Armstrong (betonverhärtet: Ryan Gosling) und Buzz Aldrin (rüpelig: Corey Stoll) müssen sich in enge, klaustrophobische Kommandomodule zwängen, rotieren wie in Trance und sehen das schwarze Außen durch ein winziges Guckfenster. Den Blick dorthin, wo die Fantasie das Nichts des Alls ausfüllt, spart sich Chazelle (meistens). Er erklärt die Helden zu alltäglichen Überlebenskünstlern, indem er deren Sicherheit beständig in Frage stellt. Aber "Aufbruch zum Mond" will auch verklären: die erste Mondlandung als biblisches Fortschrittsprojekt, Neil Armstrong als liebender, stellenweise egomanischer Familienvater, dem der Geist (wortwörtlich) seiner verstorbenen Tochter (Lucy Stafford) vor der Bewusstlosigkeit rettet. Die Kitschkuh nostalgischer Rückeroberung geht mit Chazelle ein zweites Mal durch. Jenseits von skeptischen Zwischenfragen einer unter Konkurrenzdruck fatal sich verselbstständigen Aufwärtsentwicklung gegenüber, die in eine gefährliche, Menschenleben einfordernde Schieflage zu geraten droht, verfilmt er einen NASA-Bilderkatalog himmlischen Heulens. Wer war Neil Armstrong, wer war, eigentlich, seine Frau (Claire Foy)? Berechtigte Fragen, einfältig beantwortet. Während sich Janet Armstrong (Foy) der Rolle der Hausfrau fügt, treibt die Trauer ihren Mann (vor)an, um sie – auf dem Mond – schließlich zu beerdigen. Die Oscar-Jury jubelt ergriffen.

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